Schwules Frankfurt

 

Thema Frankfurt


Schwule Geschichte Frankfurts von Christian Setzepfandt
Teil 1 der 8-teiligen Serie


Aus Frankfurts Schwuler Frühgeschichte

Homolulu, das Café "Anderes Ufer", 25 Jahre "Blue Angel": diese Stichworte fallen einem schnell zur schwulen Geschichte Frankfurts ein. Dass aber schon viel früher, zu Beginn des vorletzten Jahrhunderts in Frankfurt für schwule Rechte gekämpft wurde, ist weniger bekannt. Christian Setzepfandt, Kunsthistoriker und Stadtführer, wird in seiner siebenteiligen Serie Frankfurts schwule Historie erzählen.

Die Zeitreise beginnt im ausgehenden 18. Jahrhundert: gesellschaftliche Veränderungen; die Reformation des Strafrechts, Paul Johann Feuerbach und die Forderung nach Abschaffung der "Sodomiestrafen", Karl Heinrich Ulrichs mit einer eigenen Theorie, in der Homosexuelle Männer als "Urninge" bezeichnet wurden und der politisch aktive Jurist Johann Baptist Schweizer sind die Protagonisten im ersten Teil der GAB Serie.


"Zittert, ihr Verfolger! Ich, ich erstehe als euer Ankläger"
Karl Heinrich Ulrichs

Das frühe 19. Jahrhundert war in Deutschland von starken gesellschaftlichen Veränderungen durchzogen. Mit dem Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation 1806 endete auch in den meisten Teilen des Landes das seit dem 16. Jahrhundert gültige Strafrecht, das für die mann/männliche Sexualität brutalste Körperstrafen vorsah. Männer mit dem glühenden Schwert in den Hintern umzubringen und sie anschließend zu verbrennen, um jeden Spur von ihnen zu vernichten, war die lange Zeit übliche Strafe für Schwule. Im ausgehenden 18. Jahrhundert änderte sich gegenüber vielen "Vergehen" in der Zeit der Aufklärung auch die Art der Körperstrafen. In der Amtszeit Kaiser Joseph II. wurde das alte Recht teilweise reformiert. Seit 1787 wurden nun die für ihre "Laster" schuldig befundene Schwulen zum Schiffeziehen verurteilt, was nichts anderes als die ökonomische Ausnutzung der Todesstrafe war, denn meist starben die ausgezehrten Männer in den Sümpfen entlang der deutsche Flüsse.

Nach der französischen Revolution 1789 änderten sich in Deutschland auch allmählich die gesellschaftlichen und strafrechtlichen Bedingungen. Der erste deutsche Jurist, der sich für eine grundsätzliche Reform des Strafrechts, und im besonderen der Paragraphen, die die Schwulen betrafen einsetzte, war der bayrische Jurist Paul Johann Anselm von Feuerbach (1777-1833). Er sprach sich für die Abschaffung aller "Sodomiestrafen" aus und zumindest in einigen deutschen Staaten wurden diese fast bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr geahndet. Feuerbach lebte zeitweise in Frankfurt und wurde auf dem Frankfurter Hauptfriedhof beerdigt.

Bayern war nicht überall, dies spürte besonders der am 28. August 1825 in Aurich geborene Karl Heinrich Ulrichs. Ulrich schrieb Briefe an seine Schwester und in diesen entwickelte er eine Theorie zur Liebe zwischen Männern. Er bezieht sich dabei auf diejenigen Menschen die der mutterlosen Tochter des Himmels "Uranos" entstammen. Er bezeichnet daher die Schwulen bald als "Urninge" und "Drittes Geschlecht", die in einem männlichen Körper eine weibliche Seele haben. Dabei sucht der Urning aber seine Partner unter jungen Männern und Soldaten, nicht aber unter Urningen. Das wichtigste an Ulrichs Konzept ist die Beschreibung der mann/männlichen Liebe als ein positives, nicht medizinisches oder strafwürdiges Konzept. Ulrichs konzipierte eine Zeitschrift mit dem Namen "Uranus". Sie war die Weltweit erste Zeitschrift für die Sache der Schwulen und deren Menschenrechte vertrat.

 



Die Gräber der Juristen
Feuerbach und
Schweizer befinden sich
auf dem Frankfurter
Hauptfriedhof.
Fotos: Setzepfandt
 

Gedicht

Da Streicht er zierlich den jungen Flaum,
Der ihm blond aufsprießt an der Lippe Saum:
Den bringt er von der Caserne!
Wie sitzt er im Sattel so schlank und so leicht,
Wie hält er so stattlich die Zügel;
Das Beinkleid die schwellenden Schenkel zeigt
Vom Säbelgurt bis zum Bügel;
Und es schlägt das wallende Herz ihm empor:
Er weiß, er ist schön, doch er schämt sich davor.
(Karl Heinrich Ulrichs)


1849 kam Ulrichs nach Frankfurt. Hier tagte seit 1848 das erste deutsche demokratische gewählte Parlament. Ulrichs war zwar nicht Parlamentarier, nahm aber an vielen Diskussionen im Umfeld der Paulskirche teil. Aber erst 10 Jahre später 1859 ließ er sich in Frankfurt nieder. Er lebte u.a. in der Friedberger Straße 30 (heute: Friedberger Landstraße). Für die nächsten Jahre blieb die Stadt sein Wohnsitz. Er arbeitete als Sekretär in den Diensten des beim Deutschen Bund tätigen Abgeordneten Justin von Lindes. Ulrichs konnte so sein vielschichtiges politische Talent nutzen.

1860 trat er in den noch heute bestehenden Freien Deutschen Hochstift ein und legte sich sogleich mit dessen Gründer und Leiter Otto Vogler an. Ulrichs ergriff in den Versammlungen des Stifts häufig das Wort. In seiner Frankfurter Zeit entstanden auch die ersten Veröffentlichungen zur Uranischen Liebe, in denen Ulrichs sich mit "dem Rätsel der mannmännlichen Liebe" (von 1863 bis 1870 entstanden auch in Frankfurt elf Schriften) zu befassen begann. Die Titel "Vindex" ("der Verteidiger") und Inclusa ("der Eingezwängte") entstanden, in "Vindex" behauptet er, dass es Männer gäbe, deren Körper männlich gebaut sei, welche gleichwohl aber geschlechtliche Liebe zu Männern, hingegen geschlechtlichen Horror vor Weibern empfänden. Ulrichs wurde 1864 aus dem Hochstift wegen gegen ihn laufender "crimineller Verfolgung" ausgeschlossen.

Der Sommer 1862 bedeutet laut Hubert Kennedy, der über Ulrichs 1988/1990 eine Biographie schrieb, einen Wendepunkt im Schaffen Ulrichs. Er beschäftigt sich nun mit den Gesetzen, welche gegen die Homosexuellen erlassen wurden. Ein Anlass hierzu war die Verhaftung des als Leiter des Schützenfestes arbeitenden Frankfurter Johann Baptist Schweitzer. Schweitzer, der 1833 in Frankfurt am Main geboren wurde und in Berlin und Heidelberg Jura studierte, ließ sich nach erfolgreicher Studienbeendung und einem kurzen Aufenthalt in Paris in Frankfurt nieder und begann eine Tätigkeit als Jurist, die er aber nie sehr aktiv ausübte. Vielmehr wurde Schweitzer politisch in der Arbeiterbewegung aktiv. Einen Höhepunkt seiner politischen Karriere war seine Rede am 25.Mai 1862 auf dem Arbeitertag, mit der nach Meinung seines Biographen Hubert Kennedy die Sozialdemokratie im Frankfurter Raum begann.

Nur wenige Tage nach dem Schützenfest kam es jedoch zu dem für Schweitzers weiteres Leben entscheidenden Ereignis: Man hatte ihn in Mannheim verhaftet!
Ihm wurde vorgeworfen mit einem 13jährigen Jungen unsittliche Handlungen begangen zuhaben. Nur weil der Junge fortlief und er nicht verhört werden konnte, wurde Schweitzer lediglich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses durch die öffentliche Verübung einer unsittlichen Handlung zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Der Gefängnisaufenthalt war schnell vorbei, aber im konservativen Frankfurt war er damit zu einer unerwünschten Person geworden. Schweitzer blieb jedoch kreativ und schrieb Romane und später Theaterstücke. Seinen Roman Lucinde oder Kapital und Arbeit widmete er Ferdinand Lassalle. Lassalle setzte sich für Schweitzer ein und verhalf ihm zu einem politischen Comeback. Johann Baptist Schweitzer starb am 28. Juli 1875. Sein Grab befindet sich ebenfalls auf dem Frankfurter Hauptfriedhof.

Karl Heinrich Ulrichs hatte Schweitzer wahrscheinlich in Frankfurt kennen gelernt. Als er von seiner Verhaftung erfuhr, setzte er sich juristisch und publizistisch für Schweitzer ein. Ulrichs hatte selbst einige Jahre zuvor wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses und wiedernatürlicher Wollust" ähnliche Erfahrungen gemacht.

Ulrich ergriff immer wieder das Wort für die Sache der Schwulen, so bei einem Juristentag in München 1867, als er in einer Rede für die Abschaffung der "Urningsparagraphen" eintrat. Seine Rede ging im Tumult der 500 deutschen Juristen unter. Sein eintreten für die Rechte der "Urnige" in München ist der Höhepunkt seines Kampfes auf den er zurückschauend stolz ist. Ulrichs schrieb allerdings weiter gegen das Unrecht an. Erst 1880 geht er politisch demotiviert wie viele schwule Männer nach Italien. Hier hofften sie ein liberaleres Klima vor zu finden. Ulrichs verbrachte seine letzten Lebensjahre mit Literaturstudien. Er starb am 14. Juli 1895 um 5 Uhr nachmittags in Aquilla. Vor Magnus Hirschfeld gehört Ulrichs zu den bedeutenden Kämpfern, die sich in Deutschland gegen die Diskriminierung der Schwulen gewehrt haben

Christian Setzepfandt

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Teil 2 der 8-teiligen Serie
Aufbruchstimmung!
Das Schwule Leben in den 1920er Jahren


Die Frankfurter Schwulen begrüßten das neue Jahrhundert mit den selben Erwartungen wie ihre Freunde in Berlin oder in den anderen deutschen Städten: Sie alle erhofften sich eine Verbesserung ihrer rechtlichen Situation. Frankfurt hatte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem großen Standort der Chemieindustrie, aber auch der Banken entwickelt. Mit dem wirtschaftlichen Wachstum entwickelte sich die kulturelle Vielfalt der Stadt, die vor allem durch eine stark engagierte jüdische Bevölkerung mitgetragen wurde. Frankfurt - soviel sei schon einmal an dieser Stelle verraten - wurde in den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer liberalen Stadt, die neben Berlin eine der aufregendsten avantgardistischen Kulturszenen Deutschlands hervorbrachte.

 
Klappe in der Friedberger Anlage, Nähe Zoo
Foto: Setzepfandt
 

Schon 1903 konnten die Frankfurter im Polytechnischen Saal einen Vortrag von Magnus Hirschfeld hören, über den mehrere lokale Tageszeitungen berichteten. In der Frankfurter Zeitung, dem Vorgänger der FAZ, konnte man unter der Überschrift ‚Das dritte Geschlecht' lesen: "Der polytechnische Saal hat nicht oft eine so große Zahl von Besuchern beherbergt wie am Dienstag Abend. Das aktuelle Thema galt der "homosexuellen Frage" oder dem "Dritten Geschlecht". (...) Zum Schluss richtete der Redner einen energischen Appell an die Homosexuellen, selbst an dem Kampf teilzunehmen. Sie müssen aus ihrer scheuen Zurückhaltung heraustreten; Recht, Ehre und Freiheit stehen auf dem Spiel. Hoffentlich wird bald der Tag anbrechen, da Recht über Unrecht, Wissenschaft über Aberglaube Menschenliebe über Menschenhass die Oberhand gewinnt. Tossender Beifall folgte den Schlussworten des Redners". Im Frankfurter General Anzeiger war nach dem Vortrag zu lesen: "Die homosexuelle Frage machte gestern abend auf Veranlassung des Wissenschaftlich -humanitären Komitees Berlin-Frankfurt a.M. Dr. Hirschfeld aus Berlin, eine Autorität auf diesem Gebiete, im Polytechnischen Saale zum Gegenstand eines äußerst interessanten und instruktiven Vortrages." Die Frankfurter Nachrichten vermerkten: "Von hohem sittlichen Ernste getragen, verstand es der Redner die delikatesten Fragen mit großer Zartheit zu behandeln; er beurteilte sie vom moralischen, ethnischen, ästhetischen und naturwissenschaftlichen Standpunkte. Er setzte auseinander, dass der § 175 des St.-GB. in seiner gegenwärtigen Gestalt unhaltbar ist. In der Diskussion blieb der Vortragende Sieger, die Gegenbemerkungen fanden im Saale nur vereinzelten Beifall. Der Zudrang zu dem Vortrag glich einer Völkerwanderung, die Zuschauer standen bis an die Straße, viele mussten umkehren."

 
 

Angst vor Erpressung - Kampf für eigene Rechte

Am 9. März 1921 wurde in Frankfurt das "Wissenschaftlich-Humanitäre Komitee" (WHK) als Zweigstelle des gleichnamigen Berliner Institutes, das 1897 von Magnus Hirschfeld gegründet worden war, eröffnet. Neben dem Rittergutsbesitzer Jansen-Friemen-Cassel, gehörte vor allem Hermann Weber zu den Initiatoren des Frankfurter Komitees. Hermann Weber (1882 -1955) war Bankangestellter und einer der wenigen Vertreter der Frankfurter Schwulenbewegung, die sowohl in der Weimarer Republik als auch in den 1950er Jahren aktiv für die Rechte der Schwulen gekämpft hatten. Zu den Veranstaltungen, die das Frankfurter WHK durchführte, gehörten Vortragsabende, sowie politische Aufklärungs- und Lobbyarbeit zur Abschaffung des § 175. Im Jahrbuch für Sexuelle Zwischenstufen 1922 wurde hierzu vermerkt, dass allerdings in Frankfurt die Verfolgung der Schwulen nicht die gleiche Schärfe hätte wie in Süddeutschland: "Vor allem in Bayern und hier wiederum in München gelangen fortdauern Meldungen an uns, die zeigen, das leider auch in dieser Hinsicht das ehemals so freiheitliche Land ein Herd der Rückständigkeit geworden ist. Es scheint dort gänzlich unbekannt zu sein, dass Bayern Strafbestimmungen gegen die Homosexuellen vom Jahre 1813 bis zur Einführung eines allgemeinen deutschen Strafgesetzbuches im Jahre 1870 nicht besessen hat. (...) Es scheint dort auch völlig unbekannt zu sein, dass gerade in den hohen und höchsten Kreisen in Bayern Personen mit gleichgeschlechtlicher Empfindung sich allgemeiner Beliebtheit erfreuen." Dennoch wurde z.B. 1926 ein 62 Jahre alter Frankfurter wegen Vergehens gegen § 175 zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Zwei Jahre später dann machte ein Chorsänger die Szene unsicher: Er erpresste ihm bekannte Schwule mit der Drohung, ihre Veranlagung zur Anzeige zu bringen. Der Sänger wurde 1928 zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Dies macht vielleicht die Krux jener Zeit besonders deutlich: Einerseits lebten die Schwulen in der ständigen Angst vor Erpressung, andererseits wollten und sollten sie aber für ihre Rechte kämpfen. Aber nicht nur die Unterstützung von Opfern und harte politische Arbeit gehörte zum Leben der Bewegungsschwestern der 1920er Jahre, man traf sich zum Wandern, zum Tanz in den Mai oder zu Kostümabenden.

 

 

 
 

Was die Frankfurter ansonsten beschäftigte:

Der "Generalanzeiger" berichtete 1924: "Die erschreckende Nachricht aus Hannover. Dort hatte man einen gewissen Haarmann verhaftet, einen blonden Menschen mit einem kurzen Schnurrbärtchen auf der Oberlippe. Er hatte junge Männer mit in seine Mansarde genommen und sie dort geschlachtet. In der Leine fand man die Schädel und die Knochen der Opfer. Das Fleisch verhökerte Haarmann unter armen Leuten in Hannover. Unter den Opern war auch ein Frankfurter. Zunächst war nur von sieben jungen Männern die Rede später stellte sich heraus, dass es mehr als 40 gewesen sein mussten". Haarmann wurde im Jahr darauf hingerichtet.

Der zeitweise in Frankfurt als Leiter des TAT lebende Regisseur Rainer Werner Fassbinder drehte 1971 über Haarmann den Film "Zärtlichkeit der Wölfe".

Das Bermuda-Dreieck der Zwanziger Jahr war zum größeren Teil im westlichen Bereich der Historischen Altstadt zwischen Rathaus und Karmeliter Kloster gelegen. Kleine verwinkelte, romantische Gassen mit uralten Fachwerkhäusern. Die Liste des Frankfurter Gay-Guides aus den frühen 1930ern hatte die Namen folgender Lokale: Kleines Wiener Café, Bethmannstraße 36, Stadt Saarbrücken, Großer Kornmarkt 13, Tirolerhof, Kaiserstraße 64, St. Pauli, Große Sandgasse 11, Stadt Kreuznach Dominikanergasse 10, Gaststätte Preuss, Kornblumengasse 4. Also nicht gerade nach heutigen Maßstäben auf ein Schwules Publikum hinweisende Namen. Ansonsten waren es die üblichen Treffpunkte am Bahnhof, im Nizza-Garten, im Anlagenring und in Frankfurts schönster Klappe, in der Friedberger Anlage von 1906, einem kleinem Bau mit geschwungenem Jugendstil Dach. Schade, dass man im stilvollen Ambiente kein freudiges Treiben mehr beobachten kann, denn die "Öffentliche Bedürfnisanstalt" ist seit einigen Jahren geschlossen.

 

Christian Setzepfandt
 


 

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Schwule Geschichte Frankfurts von Christian Setzepfandt Teil 3 der 8teiligen Serie
Eien schwule Biographie
Der Frankfurter Richard Plant (1910 - 1998)


Eine der interessanten schwulen Biographien im Frankfurt der Zwanziger Jahre ist die von Richard Plant. Richard wurde als Sohn einer alten jüdischen Familie in Frankfurt am 22. Juli 1910 geboren - unter seinem richtigen Namen "Plaut", den er später auf der Flucht vor den Nazis in "Plant" änderte. Wie viele der Frankfurter jüdischen Familien waren die Plauts kulturell und politisch aktiv.

Richard wuchs in einer Zeit der Übergänge auf. Seine Kindheit verbrachte er in den letzten Jahren des deutschen Kaiserreichs, das 1918 für viele das Ende verlorener großdeutscher Fantasien bedeutete und für Frankfurt bürgerkriegsähnliche Zustände mit Toten und Verletzen in den Straßen, aber auch bis 1923 französische Besatzung brachte. Die Zwanziger Jahre hingegen waren eine kurze Zeit des liberalen Aufbruchs, in der Plaut in einem jüdischen sozialistischen Elternhaus aufwuchs. Plauts Vater war Arzt und bei einer Arbeitsgruppe sozialistischer Ärzte engagiert. Dennoch war der Vater moralisch eher konservativ und machte Richard Schwierigkeiten wegen seines Schwulseins. Die Wohnung der Plauts befand sich im nicht wenig prominenten Frankfurter Westend im Reuterweg 66. Bei den Plauts verkehrten viele Künstler der nahe liegenden Oper, die in ihrer großbürgerlichen Hülle für die deutsche Musikeravantgarde ein beliebter Spielort wurde.

Die Begegnung des 15 jährigen mit Siegfried Kracauer gehörte zu den intellektuell prägenden Moment in der Biographie Plauts. Kracauer war in der "Frankfurter Zeitung" von 1921-1933 in der Feuilleton- und Literatur-Redaktion beschäftigt. Kracauers Roman "Ginster" von 1928 und "Georg", geschrieben 1934, sind vielfarbige Gesellschaftsbilder der Zeit Kracauers homoerotisches Interesse schien sich allerdings in seiner literarischen Phantasie zu erschöpfen. Der zwanzig Jahre ältere Kracauer fördert Richard. Schon als Schüler arbeitete Plaut für verschiedene Zeitschriften als freier Mitarbeiter. Sein Thema war der Film, ein in den Zwanziger Jahren noch von vielen belächelt wurde, dem er sich aber auf Anregung seines Mentors Kracauer mit besonderer Hingabe widmete. Durch die Förderung Kracauers konnte Plaut auch gelegentlich in der "Frankfurter Zeitung" veröffentlichen. Für Richard Plaut bedeutete dies mit den "geistigen" Strömungen am Puls der Zeit zu sein. Mit Kracauer traf er sich im Cafe Laumer, das eine zeitlang von den Mitgliedern der "Frankfurter Schule" wie Theodor Wiesengrund Adorno oder auch von Paul Tillich, Hannah Arendt oder Grete Weil besucht wurde. Hier traf man sich, diskutierte und stritt. Und Richard Plaut mittendrin.

 

Es war allerdings der Musiker und Organist Hans Müller, der Richard Plaut in die Frankfurter Schwule Szene eingeführt hat. Hans Müller betrieb so etwas wie einen privaten schwulen Salon, in dem er Vorträge über Magnus Hirschfeld hielt und offen über das "Schwulsein" gesprochen wurde. Gleichzeitig waren diese privaten Treffen immer gut, um ein sexuelles Abenteuer zu beginnen. Hans Müller wurde später von den Nazis gefoltert: ihm wurden die Hände gebrochen, sodass er seinem Beruf als Musiker fortan nicht mehr nachgehen konnte. Die Schwule Szene Frankfurts war im Vergleich mit Berlin eher bescheiden. Wenige Lokale in der Altstadt waren Treffpunkte. Es existierte allerdings, wie bei Hans Müller, eine eher private Intellektuellen- und Künstler-Schwulenszene in der man sich traf, kennenlernte und austauschte.

Die Zwanziger Jahre brachten überdies ein neues Medium hervor, das auch Richard begeistern sollte: das Radio. Am 7.12.1923 wurde mit einem Startkapital von 100 Billionen RM die "Südwestdeutsche Rundfunk AG" die SÜWRAG gegründet. Ihr erstes Domizil fand die SÜWRAG im Postscheckamt in der Stiftstraße in der Frankfurter Innenstadt. Hier war es auch, wo Richards erstes Hörspiel "Anna" gesendet wurde. Bis Anfang der Dreißiger Jahre waren noch einige Sendung von und mit Richard Plaut zu hören.

Wahrscheinlich begann in Frankfurt auch die Bekanntschaft Richards mit Klaus Mann. Klaus Mann war regelmäßig in den Zwanziger Jahren in Frankfurt. Zum einen als Schriftsteller und Schauspieler, zum anderen war er hier mit Ricki Hallgarten befreundet, dem Sohn einer ausgesprochen wohlhabenden Frankfurter Bürgersfamilie.

 

In den späten Zwanziger Jahren wurde allerdings auch der aufkommende Nationalsozialismus immer mehr zum Thema. Die Braunhemden machten sich allmählich auch in Frankfurt breit. Richard Plant veröffentlicht 1948 "The Dragon in the Forrest" und 1986 "The Pink Triangle" in denen er u.a. seine Erlebnisse im Frankfurt während und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten beschreibt: "Bevor ich zu dem komme was mit einigen unsere Bekannten geschehen ist, hier erstmal einige Neuigkeiten, die in Frankfurt von niemanden veröffentlich worden sind. Hast Du schon von den Röhm-Morden gehört? Damit fing alles an, die Verhaftungen, das Schließen der Bars und so weiter. Hier in Frankfurt ist nicht eine einzige Bar mehr offen. Dafür wurden wir mit den neuen Sex-Gesetzen gesegnet. Unser alter Freund Harald meint, sie können Dich schon kriegen, wenn Du einem anderen Jungen nur zulächelst. Das erzählte er mir, bevor er in den Untergrund ging. Ich habe keine Ahnung, wo er ist. Ob er noch lebt. Erinnerst Du Dich an die G.G.-Brüder? Letzte Woche verhaftet und ins Gefängnis von Preungesheim gesteckt. Erinnerst Du Dich an Max? Wahrscheinlich in Dachau, bei München. Das bisschen Kontakt, das ich zu Ferdi hatte, ist auch abgebrochen, und ich fürchte, daß seine SA-Uniform ihm keinen Schutz mehr bietet, jetzt, ohne Röhm. Einige von denen, die er auf seinen endlosen Expeditionen verführt hat, könnten ihn ziemlich schnell verpfeifen. Richard, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie viele von ihren ehemaligen Freunden reden, wenn sie erst ins Gefängnis gesteckt und von den Schlägern "umerzogen" werden. Kurt, der Apotheker bei Euch in der Nähe, wurde um 5 Uhr morgens aus dem Bett gezerrt. Sie fanden sein Adressbuch - der Idiot hat es nicht verbrannt, oder es in den Fluss geworfen. Ich kann nur vermuten, was im Hauptquartier passiert ist, denn ich habe ihn seitdem nicht gesehen und wage nicht, seine Mutter danach zu fragen. Erinnerst Du Dich an Bert? Du wirst es nicht glauben, aber er hat sich dieser SS-Bande angeschlossen, stellt seine elegante Handschrift in ihrem Hauptquartier zur Schau und dreht sich weg, wenn er mich sieht.

 

Und weiter:
"Nachdem Robbi einige Wochen im Preungesheimer Gefängnis verbracht hatte, wurde von einem hochrangigen SS-Offizier in der Frankfurter Hierarchie einer der unteren SS-Offiziere bestochen und Robbi wurde entlassen, dies mit der strickten Auflage, nichts über seinen Aufenthalt zu berichten. Danach hat er jede Nacht woanders geschlafen; er hat seine Familie nie wieder besucht. Und dann hat er mir, zögernd, alle sichtbaren Verletzungen und Verbrennungen an seinem Körper gezeigt. Weil er niemanden verraten hatte, hatte im ein Wachmann eine Eisenstange in den Hintern gerammt, und so seinen Schließmuskel verletzt. Robbi hätte sich viel Leid erspart, wenn er früher medizinische Hilfe in Anspruch genommen hätte. Aber hier in Basel wollte er nicht ins Krankenhaus gehen, er befürchtete, man wolle dort seine Papiere sehen."
Am 28. Februar 1933 verlässt Richard Frankfurt um über die Schweiz 1938 in die USA zu emigrieren. Hier amerikanisierte er wie viele der ins Ausland vor den Nazis Geflohenen seinen Namen und aus Plaut wurde "Plant" Plant arbeitete in New York als Professor für deutsche Literatur. Kurz vor seinem Tod besuchte Plant zu Lesungen noch einmal Frankfurt. Er starb am 3. März 1998 in New York.

Christian Setzepfandt

Wer mehr über Plant erfahren möchte: Frankfurt, Basel, New York, Richard Plant, Verlag Rosa Winkel, Hrsg. Andreas Sternweiler Richard Plant, Rosa Winkel.

Der Krieg der Nazis gegen die Homosexuellen, Campus 1991 Siegfried Kracuauer, Ginster, Georg, Suhrkamp Verlag 1973